Lachgas vor 150 Jahren erstmalig zur Analgesie eingesetzt
   

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Vorwort
Geburtsstunde der Anästhesiologie
Lachgas
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Das heute noch häufig eingesetzte Inhalationsnarkotikum Lachgas (Distickstoffoxid), das sich durch starke analgetische und schwache hypnotische Wirkung auszeichnet, wurde am 11.12.1844 zum ersten Mal als Schmerzmittel eingesetzt. Der 150. Jahrestag soll Anlaß sein, an die Umstände der Lachgaseinführung zu medizinischen Zwecken und an jene Menschen, die dafür tätig waren, zu erinnern.
Joseph Priestley (1733 - 1804), der Entdecker des Sauerstoffs, synthetisierte 1776 das Lachgas.
Die analgesierende Wirkung des Gases beobachtete 33 Jahre später der damals 20jährige Humphrey Davy (1778 - 1829) und wandte es erfolgreich zur Behandlung von Zahn- und Migräneschmerzen an.
1800 empfiehlt er es zur "... Schmerzlinderung bei kurz dauernden wundärztlichen Operationen".
Doch ungeachtet seiner Empfehlungen sollte bis zum ersten Einsatz des Gases bei chirurgischen Eingriffen noch fast ein halbes Jahrhundert vergehen. Indessen nutzten Studenten der Chemie Lachgas für die Gestaltung ihrer "Partys" und Schausteller verwendeten das Gas für ihre Zwecke. Sie ließen Freiwillige das Lachgas aus Beuteln inhalieren, und zum Jux der Zuschauer wurden die Probanden in einen Zustand von ausgelassener Stimmung versetzt.

Der Schaubudenbesitzer Gardner Quincy Colton
(1814 -1898) lud für den 10. Dezember 1844 in Hartford/Connecticut (USA) zu einer seriösen Experimentalschau ein. Der Zahnarzt Horace Wells
(1815-1848) wurde von seiner Frau Liza überredet, als Abwechslung zur Arbeit, an diesem Lachgaszirkus als Zuschauer teilzunehmen. Bei der "Darbietung" beobachtete Wells, wie sich ein Mann im Rausch an einer Bank eine schwere Schienbeinverletzung zuzog und ungeachtet dessen jedoch seine im Lachgasrausch vollführten Sprünge und Verrenkungen fortführte. Als der Verunglückte sich vom Rausch erholt hatte, versicherte er auf Wells Fragen hin, daß er keinerlei Schmerzen spürte. Das brachte den Zahnarzt auf die Idee, daß man mit Lachgas vielleicht auch Zähne schmerzlos ziehen könne. Wells bestürmte daraufhin Colton, ihm am nächsten Tag mit einer Lachgasdosis bei einem Selbstversuch zu assistieren. Am 11. Dezember 1844 ließ sich Wells von Colton Lachgas verabreichen, und sein befreundeter Zahnarztkollege John Mankey Riggs extrahierte ihm einen Weisheitszahn. Aus dem Rausch erwacht, waren Wells erste Worte: ,»A new era in tooth-pulling!"

Nach dem erfolgreichen Eigenversuch ließ sich Wells von Colton die Herstellung und das Verabfolgen von Lachgas erklären.
Wells übernahm das Verfahren in seine Praxis. Bei über zwölf Patienten konnte Wells Zähne ohne die üblichen Schmerzen extrahieren.

 

Horace Wells reiste nach Boston. Der Chirurg Professor John Collins Warren (1778 - 1856) räumte ihm am Massachusetts General Hospital in einer Vorlesung die Möglichkeit ein, die Methode der schmerzfreien Zahnextraktion vorzuführen. Die Demonstration endete jedoch mit einem Desaster. Der Freiwillige - ein Student aus dem Auditorium - schreit bei der Zahnextraktion auf. "It is humbug!".
Verfolgt von diesem Ruf, mußte Wells das Auditorium räumen. Trotz eindeutiger Amnesie des Probanden endete dieser hoffnungsvolle Versuch für die weitere Verwendung des Lachgases niederschmetternd. Heute lassen sich über den Mißerfolg nur Vermutungen anstellen. War das selbst hergestellte Lachgas nicht rein genug, war der Patient zu robust, oder wurde mit der Zahnextraktion zu früh begonnen?
In der eigenen Praxis arbeitete Wells mit Lachgas weiter erfolgreich. Honorarquittungen von angesehenen Bürgern aus Hartford können dies belegen. Unter anderem analgesierte er erfolgreich eine operative Beinamputation.
Indessen wurde von William T. G. Morton
(1819-1868) - er gilt heute als Erfinder der Inhalationsnarkose - der Äther zur Anästhesie angewandt, und aus Europa hört man von erfolgreichen Chloroformnarkosen.
Wells hatte seine Zahnarztpraxis aufgegeben und unterrichtete in New York Ärzte im Umgang mit Lachgas, Chloroform und Äther. Wahrscheinlich verlor Wells durch permanenten Mißbrauch von Chloroform seinen Verstand und Lebenswillen. In den Morgenstunden des 24. Januar 1848 schied Horace Wells freiwillig aus dem Leben.
Er konnte nicht ahnen, daß zur gleichen Zeit die Nachricht der Französischen Akademie der Wissenschaften über die erfolgte Anerkennung der Prioritätsrechte der Lachgasnarkose auf dem damals langen Weg aus Europa an ihn unterwegs war. Seine zu Lebzeiten angemeldete Erstrechtsforderung blieb ohne diese Anerkennung.

Infolge seiner günstigen Eigenschaften hat Lachgas die mehr als 100jährigen Anwendungsperioden von Äther, Chloroform und Chloräthyl sowie die 50jährige von Cyclopropan überdauert. Noch heute wird Lachgas bei Kombinationsnarkosen zusammen mit anderen Anästhesiemitteln für länger dauernde Operationen und auch allein zusammen mit Sauerstoff als "Lachgasanalgesie" bei kürzeren Eingriffen angewandt.

Literatur beim Verfasser.

Dr. med. A. Lieb

Quelle:
Ärzteblatt Thüringer
5 (1994) 12


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